Wenn man mit dem Zug in Venedig ankommt, fällt demjenigen, der den Bahnhof Santa Lucia verlässt, als erstes eine majestätische grüne Kuppel ins Auge, die sich direkt gegenüber dem Ausgang auf der anderen Seite des Canal Grande imposant erhebt. Es handelt sich um die Kirche der Hl. Simon und Judas, auch bekannt als San Simeon Piccolo, eines der ersten und beeindruckendsten Denkmäler, die Besucher in der Lagunenstadt willkommen heißen.
Der Name der Kirche selbst birgt eine Kuriosität und historische Ironie, die ihre komplexe Entwicklung offenbaren. Obwohl sie heute eines der monumentalen Gebäude am Kanal ist, wird sie „Piccolo” (klein) genannt, um sie von der benachbarten und weniger imposanten Kirche San Simeon Grande zu unterscheiden, die ursprünglich die größere der beiden war. Dieser Widerspruch im Namen ist der Schlüssel zum Verständnis ihrer Geschichte, in der ein ehrgeiziges Projekt aus dem 18. Jahrhundert das Größenverhältnis zwischen den beiden Pfarreien umdrehte und die „Piccola” in ein viel „Größeres” Gebäude als ihr Namensvetter verwandelte.
Die Geschichte der Kirche San Simeon Piccolo hat antike Wurzeln, die bis ins 9. Jahrhundert zurückgehen und mit den einflussreichen Familien Adoldi und Briosi in Verbindung stehen. Die Gründung der Pfarrei geht jedoch auf das 11. Jahrhundert zurück, wobei die offizielle Weihe am 21. Juni 1271 erfolgte. Das ursprüngliche Gebäude war wahrscheinlich eine dreischiffige Basilika, die parallel zum Canal Grande ausgerichtet war. Im 16. Jahrhundert zeigte das Gebäude jedoch erste Anzeichen von Baufälligkeit, was zu der drastischen Entscheidung führte, es komplett neu zu errichten.
Der Wendepunkt kam 1718, als der Pfarrer Giambattista Molin, genannt „Manera“, ein ehrgeiziges Wiederaufbauprojekt förderte und den Architekten Giovanni Scalfarotto mit der Aufgabe betraute. Die Arbeiten dauerten zwanzig Jahre, bis zur feierlichen Weihe am 27. April 1738, die vom Bischof von Cittanova d’Istria, Monsignore Gaspare Negri, vollzogen wurde. Um ein Unternehmen dieser Größenordnung zu finanzieren, wandte Pfarrer Molin eine ausgesprochen unorthodoxe Methode an: die Organisation einer „Lotterie”, einer Art Glücksspiel mit jährlichen Ziehungen – eine kuriose Anekdote, die von dem Einfallsreichtum und der Entschlossenheit zeugt, die für die großen städtischen Projekte jener Zeit erforderlich waren.
Die Kirche erlebte in den folgenden Jahren weitere kuriose Ereignisse. Unter dem Königreich Italien Napoleons wurde 1807 ihr Kapitel aufgelöst und die Kirche gliederte den Bezirk San Simeon Grande ein. Im Jahr 1810 kehrten sich die Rollen jedoch um und San Simeon Piccolo wurde zur Nebenkirche der benachbarten Kirche.
Die Veränderung des Status und der Größe der beiden gleichnamigen Kirchen stellt eine interessante Umkehrung ihrer Identität dar. In einer Zeit, in der architektonische Größe gleichbedeutend mit Macht und Prestige war, stellt der Wiederaufbau von San Simeon „Piccolo” als imposantes und spektakuläres Bauwerk einen echten Beweis für städtebauliche Überlegenheit dar.
Die Kirche San Simeon Piccolo ist eines der bedeutendsten venezianischen Bauwerke des 18. Jahrhunderts, einer Zeit des stilistischen Übergangs zwischen barocker Pracht und neoklassizistischer Strenge.
Ihre Architektur zeichnet sich durch einen zentralen Grundriss aus, eine für die damalige Zeit in Venedig innovative und seltene Lösung, sowie durch eine hohe, mit grünem Kupfer verkleidete Kuppel, die die Landschaft des Canal Grande dominiert. Der imposante korinthische Pronaos (Portikus), der über eine breite Treppe zugänglich ist, ist offensichtlich vom Pantheon in Rom inspiriert, ein direkter Verweis auf die Klassik, die der Architekt Scalfarotto nachbilden wollte.
Eine genauere Analyse zeigt, dass das Projekt keine Nachahmung ist, sondern eine komplexe Mischung aus verschiedenen Einflüssen. Im Gegensatz zur römischen Kuppel hat diese Kuppel eine ovale Form, die der gesamten Struktur einen vertikalen Schwung verleiht, der durch die überragende Laterne noch verstärkt wird. Darüber hinaus erinnert das rechteckige Presbyterium mit seinen beiden Apsiden an die Werke von Andrea Palladio und Baldassarre Longhena, den Meistern, die die architektonische Identität Venedigs geprägt haben.
Die Mischung aus klassischen, byzantinischen und palladianischen Elementen in einem neuen Stil macht San Simeon Piccolo zu einem experimentellen Bauwerk, einem Vorläufer des Neoklassizismus in einer Stadt, die noch stark vom Barock geprägt war. Sein Entwurf ist eine klare Reaktion auf die übertriebene Barockdekoration und definiert eine neue Architektursprache, die auf klaren Linien, harmonischen Proportionen und rationaler Eleganz basiert.
Das faszinierendste und ungewöhnlichste Merkmal von San Simeon Piccolo verbirgt sich unter seinem Bodenbelag: eine unterirdische Krypta, die einen Katakombenkomplex bildet, ein einzigartiges und fast ungewöhnliches Element in einer Stadt, die auf dem Wasser erbaut wurde. Diese Grabstätte ist nach dem Vorbild der frühchristlichen Katakomben angelegt, mit einer zentralen achteckigen Struktur und einer Reihe von Grabkapellen, die entlang zweier Korridore angeordnet sind. Es ist ein Ort voller Geheimnisse, an dem die Gräber berühmter Gemeindemitglieder liegen, deren Identität größtenteils unbekannt ist. Ein weiteres Rätsel sind die einundzwanzig Kapellen, von denen acht noch zugemauert und unerforscht sind.
Die Krypta ist sowohl eine Begräbnisstätte als auch eine unterirdische Kunstgalerie, die eine Geschichte spiritueller und sozialer Entwicklung erzählt, mit Fresken, die sich durch ihre stilistische und thematische Dualität auszeichnen. Die ältesten Gemälde aus dem 18. Jahrhundert zeigen empfindliche und spirituelle Szenen aus dem Kreuzweg, dem Alten und Neuen Testament in sanften Farben.
Später, wahrscheinlich im Laufe des 19. Jahrhunderts, erfuhr die Kunst der Krypta einen radikalen Wandel. Die neuen Fresken, die in düsteren und makabren Farbtönen gehalten sind und von Schwarz, Rot und Gold dominiert werden, zeigen Schädel, Knochen und sogar ein ganzes Skelett, das in einer Nische gemalt ist. Diese dramatische Veränderung spiegelt die Faszination für den Tod und das Okkulte wider, die sich im 19. Jahrhundert, einer Zeit tiefgreifender Umwälzungen für die traditionellen religiösen Institutionen, verbreitete.
Leider kann dieser außergewöhnliche Ort derzeit nicht besichtigt werden und bleibt für die Besucher geschlossen, bis ein Besuch wieder sicher ist.
Heute untersteht die Kirche San Simeon Piccolo der pastoralen Obhut der Priesterbruderschaft San Pietro, die dort seit 2006 die Liturgie nach der außerordentlichen Form des Römischen Ritus (Tridentinische Messe) zelebriert. Diese Zuweisung, die vom Patriarchen von Venedig, Kardinal Angelo Scola, gewünscht wurde, hat San Simeon Piccolo zur einzigen Kirche der Stadt gemacht, in der noch regelmäßig die Messe auf Latein gefeiert wird.
Die Priesterbruderschaft St. Petrus besteht aus katholischen Priestern, die zwar keine Ordensgelübde abgelegt haben, aber gemeinsam für eine doppelte Mission arbeiten: die Ausbildung und Heiligung der Priester gemäß der traditionellen lateinischen Liturgie und die Seelsorge.
Die Feier der Messe nach altem Ritus steht in Kontinuität mit einer jahrhundertelangen katholischen Liturgietradition und bietet Gläubigen und Besuchern ein besonders feierliches und tiefgründiges religiöses Erlebnis. Die strenge Schönheit der lateinischen Liturgie mit ihren gregorianischen Gesängen und Zeremonien findet im neoklassizistischen Rahmen von San Simeon Piccolo einen perfekt passenden Rahmen, der eine Harmonie zwischen Architektur und Spiritualität schafft.
Es ist möglich, täglich um 11:00 Uhr an der Heiligen Messe auf Latein teilzunehmen.
Die Strecke vom Camping Ca’Savio zur Kirche San Simeon Piccolo ist sehr malerisch: Nachdem Sie die Anlegestelle von Punta Sabbioni erreicht haben – je nach Bedarf mit dem Bus, dem Fahrrad oder dem Auto –, nehmen Sie einfach das Boot in Richtung Venedig – San Zaccaria (nur wenige Schritte vom Markusplatz entfernt!). Von hier aus können Sie einen angenehmen Spaziergang von etwa 30 Minuten machen oder eine weitere Vaporetto-Fahrt entlang des Canal Grande nehmen, die Sie zur Haltestelle des Bahnhofs Santa Lucia bringt, direkt gegenüber der Kirche San Simeon Piccolo.
Während Ihres Aufenthalts auf dem Camping ist ein Besuch dieses architektonischen Juwels eine Gelegenheit, eine ungewöhnliche und faszinierende Seite Venedigs zu entdecken, fernab der ausgetretenen Touristenpfade, aber reich an Geschichte und Spiritualität.